Blogger-Codex
Kontrovers wird aktuell überall in der Blogosphere der vom Internet-Visionär und Verlegers Tim O’Reilly eingebrachte Entwurf für einen Blogger-Codex diskutiert. Dieser umfasst (inkl. Übersetzung von mir, die gefundenen Übersetzungen waren aus meiner Sicht alle unvollständig oder teilweise falsch) folgende Punkte:
We are committed to the „Civility Enforced“ standard: we will not post unacceptable content, and we’ll delete comments that contain it.
We define unacceptable content as anything included or linked to that:
– is being used to abuse, harass, stalk, or threaten others
– is libelous, knowingly false, ad-hominem, or misrepresents another person,
– infringes upon a copyright or trademark
– violates an obligation of confidentiality
– violates the privacy of others
We define and determine what is „unacceptable content“ on a case-by-case basis, and our definitions are not limited to this list. If we delete a comment or link, we will say so and explain why. [We reserve the right to change these standards at any time with no notice.]
1. Wir übernehmen Verantwortung für unsere Aussagen und beanspruchen das Recht, Kommentare zu löschen, die nicht einem Mindestmaß an Höflichkeit entsprechen und wir veröffentlichen ebenso wenig inaktzeptable Inhalte.
Dabei definieren wir inakzeptable Inhalte wie folgt:
– alles was dazu dient, andere zu beschimpfen, belästigen oder zu bedrohen
– alles beleidigende, bekannt falsches, ad-hominem oder eine andere Person in einem falschen Licht erscheinende
– alles das Urheberrecht verletzende
– alles was eine Vertrauensverhältnis oder -pflicht verletzt
– alles was die Privatssphäre anderer verletzt
Dabei definieren wir „inaktzeptablen Inhalt“ von Fall zu Fall und unsere Definition ist nicht nur auf die obige Liste beschränkt. Wenn wir einen Kommentar oder Link löschen, so sagen wir das und erklären warum, wobei wir uns jedoch das Recht vorbehalten, diese Regel jederzeit ohne vorherige Mitteilung zu ändern.
2. We won’t say anything online that we wouldn’t say in person.
2. Wir sagen nichts online, das wir auch offline nicht direkt sagen würden
3. We connect privately before we respond publicly.
When we encounter conflicts and misrepresentation in the blogosphere, we make every effort to talk privately and directly to the person(s) involved–or find an intermediary who can do so–before we publish any posts or comments about the issue.
3. Wir kommunizieren zuerst privat, bevor wir öffentlich antworten
Wen sich Konflikte oder Falschdarstellungen in der Blogosphere zeigen, sollten wir zuerst alle Anstrengungen machen, mit den beteiligten Personen Direkt und Privat zu kommunizieren – oder einen Schlichter zu finden, der diese Aufgabe übernehmen kann – bevor wir Posts oder Kommentare zu dem Problem veröffentlichen.
4. When we believe someone is unfairly attacking another, we take action.
When someone who is publishing comments or blog postings that are offensive, we’ll tell them so (privately, if possible–see above) and ask them to publicly make amends.
If those published comments could be construed as a threat, and the perpetrator doesn’t withdraw them and apologize, we will cooperate with law enforcement to protect the target of the threat.
4. Wir handeln, wenn wir das Gefühl haben, jemand würde unfair angegriffen.
Wenn jemand anstößige oder beleidigende Kommentare oder Blog Posts veröffentlicht, so teilen wir es ihm mit (zuerst persönlich wenn möglich) und fragen ihn, öffentliche Wiedergutmachung zu leisten.
Wenn diese veröffentlichten Kommentare aus Bedrohung ausgelegt werden können und der Täter diese nicht zurückzieht und sich entschuldigt, werden wir mit den Strafverfolgungsbehörden kooperieren, um das Opfer der Bedrohung zu schützen.
5. We do not allow anonymous comments.
We require commenters to supply a valid email address before they can post, though we allow commenters to identify themselves with an alias, rather than their real name.
5. Wir erlauben keine anonymen Kommentare.
Wir verpflichten Kommentierer eine gültige Email-Adresse anzugeben, dennoch erlauben wir diesen Kommentierern einen Alias anstatt ihres wahren Namen zu verwenden.
6. We ignore the trolls.
We prefer not to respond to nasty comments about us or our blog, as long as they don’t veer into abuse or libel. We believe that feeding the trolls only encourages them–„Never wrestle with a pig. You both get dirty, but the pig likes it.“ Ignoring public attacks is often the best way to contain them.
6. Wir ignorieren Trolle
Wir ziehen es vor, nicht auf bösartige Kommentare zu uns oder unserem Blog zu antworten, solange diese nicht in die Richtung von Bedrohungen oder Beleidigungen gehen. Wir denken daß das „fütten der Trolle sie nur ermutigt weiter zu machen. „Ringe niemals mit einem Schwein. Ihr werdet beide Schmutzig, aber Schweine lieben das.“ Öffentliche Anfeindungen zu ignorieren ist der Beste Weg ihnen zu begegnen.
Interessante Thesen, die ich hier einmal im einzelnen diskutieren und kommentieren möchte.
zu Punkt 1.: Da ein gewisses Maß an Höflichkeit zum zivilisierten Zusammenleben, von daher kann ich hier nur zustimmen. Jedoch könnte die im letzten Absatz genannte freie Auslegung der Regeln natürlich auch der Willkür Tür und Tor öffnen.
zu Punkt 2.: Klingt logisch – jedoch verleitet die Pseudo-Anononymität und das Bloggen unter Pseudonym auf kostenlosen Bloghostern dazu, hier oft Dinge zu äußern die diese Regel verletzen. Eine Impressumspflicht ist hier natürlich eine sinnvolle Regelung, um die Veröffenlichenden zur Einhaltung zu maßregeln.
zu Punkt 3.: Die private Kommunikation lässt sich nur dann verwirklichen, wenn auch eine Kontaktmöglichkeit besteht. Daher korrespondiert dieser Punkt mit einer rudimentären Impressumspflicht – diese sollte jedoch nicht unbedingt eine private Adresse umfassen. Im Rahmen der Morddrohung gegenüber der Bloggerin Kathy Sierra als Auslöser für die Erstellung und anschließende Diskussion um diesen Codex wäre die Angabe einer privaten Anschrift sogar gefährlich.
zu Punkt 4.: Das zählt zur Zivilcourage – aber die ist ja leider schon im Offline-Leben nicht so ausgeprägt, wieso sollte das hier also anders sein?
zu Punkt 5.: Auch dieser Punkt korrespondiert mal wieder mit dem Punkt der Impressumspflicht – denn wenn die Veröffentlicher dazu verpflichtet sind ihre Kontaktdaten zu veröffentlichen, warum sollten die Kommentierer nicht der selben Pflicht unterworfen werden? jedoch wird das technisch ziemlich schwierig werden zu realisieren. Außerdem würde das der Überwachung der Nutzer auch durch nichtstaatliche Stellen womöglich Tür und Tor öffnen.
zu Punkt 6.: Full ACK – diesem Punkt ist aus meiner Sicht nichts hinzuzufügen. Don’t feed the Trolls.
Des weiteren war in einigen Blogs noch ein siebter Punkt zu Lesen, der davon sprach: den Hostern bei der Durchsetzung ihrer AGBs zu helfen. Dies trifft wohl vor allem für Sammelbloghoster wie Blogger.de oder Twoday.net zu. Da er nicht Bestandteil des ursprünglichen Drafts ist und keinesfalls universell anwendbar ist, möchte ich ihn hier nicht weiter diskutieren.
Die Vorwürfe gegenüber O’Reilly zielen vor allem darauf ab, daß er die Meinungsfreiheit im Internet beschränken will und eine eindeutige Identifizierung der Denunziation Tür und Tor öffnen würde. So schreibt einer der Kommentatoren „Erschießt die Informanten sofort.“ – und viele dieser so heftig reagierenden Kommentatoren befürchten, daß die sonst so viel „zügelloseren“ und subjektiveren Blogs ihre Liberalität verlieren würden und den Weg der Presse gehen, der ja viele Vorwerfen nur vorgefilterte Informationen für das Volk zu präsentieren. Diese Bedenken sind zwar nicht von der Hand zu weisen, aber die Reaktionen in Form von Morddrohungen und ähnlichem erscheinen mir bei weitem überzogen.
Natürlich ist hier eine Debatte notwendig, die nicht nur Blogger betrifft, sondern alle Personen die Content ins Internet stellen. Inwieweit sich der vorgestellte Entwurf als geeignet zeigt, wird sich im Laufe der nächsten Zeit durch die hoffentlich sinvolle und gemäßigt geführte Diskussion erweisen.
[Quellen: Golem.de – Netzpolitik.org – Spiegel.de u.v.a.]
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