Gaststätte Wartburg – Jena
Wie der geneigte Leser ja weiß, ist Jena nicht gerade arm an gastronomischen Einrichtungen, im Volksmund auch Kneipe genannt,
in denen man sich mit Freunden, Kumpels und Kollegen bei mehr oder weniger starken Konsum alkoholischer Getränke einen schönen
Abend verbringen kann. In dem großen Wust von Szene- und In-Lokale hat sich eine Einrichtung gehalten, die in den nunmehr mehr als
sechzehn Jahren der Wiedervereinigung unverändert ihren festen Platz im Gefüge des Damenviertels hat: Die Wartburg.
Betritt man durch die doppelte Eingangstür den Schankraum, fühlt man sich unvermittelt um 20 Jahre in der Zeit zurückgeworfen. Ostdeutsche Zeit wohlgemerkt, denn die Wartburg präsentiert sich als Reinkarnation einer Gaststätte zur Hochzeit des Real Existiernden Sozialismus.
Die in eierschalen-ocker gestrichenen Wände bis etwa kopfhöhe mit Holz verschalt, die darüber sichtbare eierschalen-ockerfarbene Mauer ist mit einem Gemälde eines brüllenden Hirschen verziert, dem Ursymbol deutscher Gemütlichkeit.
Auf den mit Wolpryla-Decken verzierten Tischen finden sich neben der mit Kunstblumen umwirkten kategorischen Kerze auch ein wundervoll kombinierter Salz- und Pfefferstreuer mit integriertem Serviettenhalter. Der Wirt Rolf ist ein sauber seitengescheitelter Anfang-Fünfziger mit Metallbrille, der sein senkrecht gestreiftes Hemd genau so weit aufgeknöpft trägt, daß man das darunter getragene Feinripp-Unterhemd gerade erkennen kann. Das Publikum besteht jedoch nicht aus Männern fortgeschrittenen Alters, die sich den Abend mit dem Kosum von „Altherrengedecken“ (abwechselnd ein Bier und ein Korn) versüßen, sondern vornehmlich aus jüngeren Leuten, die den Schankraum oft bis zum letzten Tisch besetzen. Das mag mitunter daran liegen, daß das Damenviertel besonders unter Studenten eine sehr beliebte Wohngegend ist. Wenn auch nicht gerade billig, so ist es doch zentral gelegen und nah an Universität oder der neugebauten Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek (ThuLB). Einziger Wermutstropfen ist das komplette Fehlen von DSL-Anschlüssen in diesem Teil der Stadt, da die kurz nach der Wende verlegten Glasfaserleitungen eine Anbindung an diese schnelle Form des Internets verhindert. (Und für mich auch der Hauptgrund ist nicht in diese Gegend umzuziehen).
Jeder Wartburg-Neuling wird vor allem die an der Wand angebrachte Speisekarte (oben rechts im Bild) sofort bemerken, auf deren an Haken aufgehangenen Holztäfelchen die aktuell verfügbaren Gerichte verzeichnet sind. Ist ein Gericht aus, wird einfach die entsprechende Holztafel von der Wand genommen – eine einfache und doch in seiner Funktionalität extrem ausgeklügelte Vorrichtung, die in der Gastronomie ihres Gleichen sucht. 😉 Ausgeschenkt wird Rosen Pils, welches zwar von einigen Ansässigen als Kopfschmerzbier verschrien wird, aber sehr süffig und mit 1,90 Euronen für den 0,5 Liter Krug auch nicht zu teuer ist.
Man kann die Gaststätte Wartburg also abschließend nicht nur den Bewohnern des Damenviertels empfehlen, sondern sie durchaus als kleinen Insider-Geheimtipp betrachten, nicht nur für Ostalgiker.
Lageplan:
Sehr schön. Wart ihr da gestren Abend?
Jep. Hatte ich dir aber im ICQ gesagt bevor ich gegangen bin 😉
aber nicht wohin…
Ach so, daß kann sein. Aber
jetzt weißt du es ja.
wartburg ist echt fein. es wundert mich, dass dort nicht reisegruppen aus dem weschde einfallen…
Jetzt wirst du aber sarkastisch, Joerg.
Obwohl man natürlich dort Lama-Decken verkaufen oder so etwas wie Verkaufsfahrten zu Bauer Ewald machen könnte
Update:
Mittlerweile ist IMHO fast im gesamten Damenviertel DSL bzw. die alternative NAOS vorhanden. Und somit hat sich der schrecken des DSL leeren Stadtteils erledigt 😉
Der Post ist ja auch von 2005 wo diese Aussage durchaus noch zutraf