Verspätungen hoch drei
Wäre ich klug gewesen, wäre ich am Freitag bereits um die Mittagszeit losgefahren – so wie es einige meiner Kollegen getan hatten – doch viel Arbeit hielten mich davon ab, den sicheren Weg zu wählen. Es war ja bereits seit spätestens Donnerstag Abend bekannt, dass da Wettertechnisch einiges auf uns zukam. Tief „Irmela“ versprach Wetterchaos in ganz Deutschland. Hinzu kamen die noch immer andauernden Überprüfungen der ICEs die sich ja wie inzwischen bekannt wurde noch bis Februar hinziehen soll. Aber Arbeit geht nun mal vor.
Um 16.00 Uhr konnte ich mich dann endlich loseisen und machte mich auf den Weg zum Kölner Hauptbahnhof. Als ich am Gleis 6 ankam las ich auf dem der Anzeigetafel bereits von den ersten Folgen des Wintereinbruchs: Der ICE von Dortmund über Frankfurt Flughafen in Richtung München hatte über 40 Minuten wetterbedingte Verspätung. Eigentlich wollte ich ja mit dem Zug um 16:54 Uhr fahren, so aber entschied ich mich dazu diesen bereits verspäteten Zug zu nehmen und mich dann auf gut Glück von Frankfurt Flughafen zum Hauptbahnhof durchzuschlagen, um den Ersatz-Intercity in Richtung Dresden, der um 18.22 Uhr starten sollte, zu erwischen. Doch das war wirklich reines Wunschdenken.
Bis kurz vor den Bahnhof Siegburg-Bonn stand ich noch im Gang, ergatterte dann aber einen zwar reservierten, aber nicht in Anspruch genommenen Sitzplatz, den ich bis zum Fernbahnhof des Frankfurter Flughafens auch behalten konnte. Als ich dort am Gleis 5 ausstieg, schien mir das Glück hold zu sein, denn am gegenüberliegenden Gleis 4 sollte mit nur 5 Minuten verspätung ein ICE eintreffen, der über den Frankfurter Hauptbahnhof fahren sollte. Doch aus den 5 Minuten wurden 10, dann 15, dann 20, 25 und schließlich 30 Minuten. Meine Hoffnungen schwanden noch rechtzeitig am Hauptbahnhof anzukommen um den Zug um 18.22 Uhr zu erwischen
Gerade war ich drauf und dran, mich zum Regionalbahnhof des Flughafens auf den Weg zu machen, da wurde angekündigt das der Zug jetzt endlich einfahren würden. Mühevoll zwängte ich mich, in den Gang und blieb bereits kurz nach der Tür stecken. Sitzplätze zu suchen waren bei diesem bis zum letzten Stehplatz gefüllten Zug illusorisch – außerdem sollte die Fahrt eigentlich ja nur 10 Minuten dauern. Wankend und von Windböhen gepeitscht zwängte sich der Zug schließlich – nochmals mit etwa 7 Minuten Verspätung zusätzlich über die verregneten aber noch schneefreien Gleisanlagen in Richtung des Hauptbahnhofes. Der 18.22 Uhr Zug war natürlich längst weg – und der nächste Zug sollte angeblich um 19:19 Uhr fahren. Vor dem Gleis stand ein junger Mann in DB-Uniform und mit einer roten Mütze bekleidet, auf der in silbernen Lettern „Service“ aufgeprägt war. Von ihm erfuhren ich und die anderen, teilweise extrem genervt klingenden Reisenden, dass der Zug wohl fahren würde, aber das Gleis frühstens um 19:00 Uhr feststehen würden. Also hieß es warten. Ich stöberte etwas im Zeitschriftenladen, holte mir eine Kleinigkeit bei Burger King und ließ mich auf einer Bank nieder, um meinen Burger zu verspeisen.
Das wirklich unangenehme war dabei nicht unbedingt das Warten, sonder die extreme Dichte an Bettlern, die sich gerade heute in der Halle des Frankfurter Hauptbahnhofes herumtrieben. Und alle schienen mich als Alleinreisenden als Opfer auserkoren. Es fing an mit einem älteren Typen mit Migrationshintergrund, der mir ein laminiertes Stück Papier vor die Nase hielt, auf dem irgend etwas von Frau, Kindern und Hunger in Comic Sans, Schriftgröße 24 aufgedruckt war. Ich schüttelte den Kopf und er ging von dannen. Der nächste war ein junger Typ, höchstens 18 oder 19 mit Bürstenhaarschnitt in abgetragener Winterjacke, der mich nach ein wenig Kleingeld fragte. Ich verwies auf mein Long Chicken Burger, an dem ich gerade kaute und sagte ich hätte dafür mein letztes Kleingeld ausgegeben. Auch er machte sich davon und sprach gleich einige Schritte weiter den nächsten an. Und gerade zwei Bissen später kam auch schon der nächste, ein grauhaariger, etwas ungepflegt wirkender Mann mit einer Krücke, der mich mir der Masche „… mir fehlen noch 50 Cent für den Zug nach Hause…“ Geld abzuknöpfen. Eine weltweit offensichtliche extrem beliebte Masche, die ich sowohl am Hamburger und Kölner Hauptbahnhof als auch auf der Market Street in San Francisco und vor der Penn Station in New York schon gehört hatte. Wieder schüttelte ich den Kopf, würgte die letzten Bissen herunter und begab mich ein wenig auf Wanderschaft durch die Bahnhofshalle. Sitzende Personen sind einfach ein zu leichtes Ziel für Bettler.
Kurz nach 19.00 Uhr tönte dann der Lautsprecher von der Decke und durch die Geräuschkulisse der Bahnhofshalle und verkündete, dass der Ersatzzug in Richtung Dresden heute „Ausnahmsweise“ von Gleis 10 fahren würde. Natürlich – wie sollte es anders sein – mit Verspätung. Also auf zum Gleis 10, noch ein Zigarettchen im gelb umrandeten Raucherbereich direkt am Bahnsteig gegönnt und dort auf den Zug gewartet.
Was man uns dort hinstellte war wirklich bar jeder Beschreibung. Die von reichlich Graffiti verzierten Wagen waren was die Einrichtung angeht wohl bereits alt als gewesen als ich noch Jung war – den Bezügen und der Einrichtung nach eine Regionalbahn aus den frühen 60er Jahren – von Tischen oder Steckdosen natürlich keine Spur. Also kein gucken von Filmen am Laptop oder ähnliches. Mein Banknachbar im glücklicherweise nur halb gefüllten Abteil rief mit seinem Handy während vor und nach der Abfahrt erst einmal seines halbes Adressbuch an und verkündete mit immer gleich lautenden Sätzen jedem seiner Bekannten lautstark seinen Missmut über das Bezahlen von „ICE-Preisen“ für IC-Verbindungen und über diesen „Schrottwagon“ dar – und das er jetzt doch keine Filme auf seinem Laptop gucken könnte, was ihn ja so sehr ankotzen würde. Mir gelang es glücklicherweise das halbwegs auszublenden und ein wenig zu lesen.
Beim letzten Umstieg war dann noch einmal dreißig Minuten Wartezeit angesagt, glücklicherweise stand der Zug aber bereits am Gleis und war bereits offen, so dass ich mich im warmen aufhalten konnte bis es endlich losging.
Insgesamt war ich schließlich wohl über sechseinhalb Stunden auf den Gleisen und Bahnhöfen Deutschlands unterwegs gewesen – für eine Fahrt die normalerweise keine vier Stunden dauert. Und das lag nicht nur daran, das in Teilen Deutschlands Wetterchaos herrschte – hinzu kommt die eindeutig sehr stiefmütterliche Bahandlung der Strecke Frankfurt-Dresden die ich ja in der Regel fahre durch die Deutsche Bahn. Wenn ich bedenke dass ich das wohl noch bis Februar mitmachen muss, wird mir wirklich ganz anders – das macht echt keinen Spaß mehr. Einziger Lichtblick ist die Tatsache, dass ich mal wieder dazu komme ein wenig mehr zu lesen – denn dazu eignen sich Bahnreisen wirklich wunderbar.
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